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»Beim genauen Betrachten und Forschen taten sich knallharte Themen auf«

Kuratorin und Stadthistorikerin Ines Haaser im Gespräch zur neuen Sonderausstellung »Prost Mahlzeit!«
Kuratorin Ines Haaser in der Sonderausstellung Prost Mahlzeit!, Foto: Pawel Sosnowski
Kuratorin Ines Haaser in der Sonderausstellung Prost Mahlzeit!, Foto: Pawel Sosnowski
Essen und Trinken sind elementare Grundbedürfnisse. Warum machen Sie dazu im Görlitzer Kaisertrutz eine Ausstellung?

Wir sind ein kulturhistorisches Museum mit großen Sammlungsbeständen und unglaublich vielen wunderschönen Objekten zum Thema Essen und Trinken. Beim genauen Betrachten und Forschen zu den einzelnen Stücken taten sich knallharte Themen auf und damit verbundene Fragen. Woher kamen das Essen und Trinken im Mittelalter und in der Neuzeit? Wurde jeder satt? Welche Unterschiede zwischen Arm und Reich gab es? Selbst beim Thema Bier geht es nicht nur um den Konsum, sondern um soziale und politische Aspekte. Eifersüchtig wachten im Mittelalter die Besitzer der Brauhöfe über ihre Rechte, die ihnen manchen Taler Gewinn einbrachten.

Ist auch eine persönliche Leidenschaft für dieses Themenfeld im Spiel?

In meiner Familie spielen Essen und Trinken bei Feiern eine große Rolle. Mindestens zwölf Personen sitzen am schön gedeckten Tisch, freuen sich über feine Speisen und reden den ganzen Abend miteinander. So weiß ein jeder vom anderen, welche Freuden er hat und welche Probleme im Alltag. Der regelmäßige Austausch, schließlich hat jede der zwölf Personen einmal im Jahr Geburtstag, hält die Familie zusammen. Man kann sich gegenseitig helfen oder dem anderen in schwierigen Situationen beistehen.

Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Hatten und haben die Görlitzer besondere Speisesitten oder kulinarische Spezialitäten?

Wer sind denn die Görlitzer? Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Vertriebene aus Schlesien nach Görlitz und wurden hier heimisch. Sie brachten ihre Leibspeisen mit. In den 1960er Jahren zogen junge Familien aus der ganzen DDR nach Görlitz und Hagenwerder, um im Energiesektor zu arbeiten. Auch sie pflegten eigene Traditionen. In den letzten Jahren kamen syrische und afghanische Flüchtlinge nach Görlitz. So kamen Speisen der vorderasiatischen Küche zu uns. Und nicht zuletzt die Zgorzelecer und die fast 5000 polnischen Einwohner von Görlitz, sie machen Rezepte wie Bigosch und Pirogen allgemein bekannt. Was ich sagen will: Die Vielfalt der Speisen und Traditionen ist unendlich groß. Jeder kann für sich neue Dinge, auch vegetarisches oder veganes Essen, entdecken.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellung? Warum sollte man diese gesehen haben?

Das Thema Essen und Trinken wird bei uns zum ersten Mal in einer Ausstellung erzählt. Viele neue Aspekte werden sich dem aufmerksamen Besucher eröffnen. So war es zum Beispiel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit für den Reichen selbstverständlich, dass er die Armen unterstützte. Der Rat von Görlitz erwarb in Krisenzeiten Getreide, um das Brot wohlfeil für alle zu lassen. Der Erhalt des sozialen Friedens hatte oberste Priorität. All das und noch viel mehr erzählen wir in unserer Ausstellung. Und wir gehen bis in die Gegenwart.

Knüpfen Sie eine konkrete Erwartungshaltung an dieses Ausstellungprojekt?

Ich hoffe, dass sich viele Menschen für dieses Thema interessieren, denn schließlich muss ja jeder essen und trinken.

»Essen und Trinken hat eben auch immer etwas mit den sozialen und politischen Umständen zu tun.«

Kuratorin Ines Haaser

Sicher gibt es unter den vielen Objekten in dieser Schau auch welche mit einer außergewöhnlichen Geschichte…

Für mich ist das besondere Ausstellungsobjekt eine Violine, die als Leihgabe einer Görlitzer Familie im Kaisertrutz zu sehen sein wird. Aber was hat ein Musikinstrument mit Essen und Trinken zu tun? Der ursprüngliche Besitzer dieser Violine war als Flüchtling aus Rothwasser/Czerwona Woda im Sommer 1945 nach Görlitz gekommen. Bei der Flucht musste sein bisheriges Instrument zurückbleiben. Sein Vater, ein Görlitzer Bauunternehmer, reparierte bzw. baute die Bauernhöfe nördlich von Görlitz neu auf, die beim Vormarsch der Roten Armee zerstört worden waren. So kam der Vater an Lebensmittel, die letztendlich auf dem Schwarzmarkt als Tauschprodukt für eine neue Violine dienten, die wir nun zeigen können. Essen und Trinken hat eben auch immer etwas mit den sozialen und politischen Umständen zu tun.

Für wen ist diese Ausstellung konzipiert?

Die Ausstellung ist für alle Bürger der Europastadt Görlitz-Zgorzelec gemacht – von 5 bis 99 Jahren. Mitmach-Stationen laden jüngere und ältere Besucher ein, eigene Erfahrungen einzubringen. Unsere Museumspädagogin Marie Karutz hält eine ganze Palette an Familienveranstaltungen und buchbaren Angeboten für Schulen und Hortgruppen bereit. Es ist für jede Generation und jeden Geschmack etwas dabei.

Im Eingangsbereich der Ausstellung weisen Sie auf aktuelle Fehlentwicklungen bei der Lebensmittelproduktion und deren Konsum hin und sagen, »dass nichts weniger auf dem Spiel steht, als unser grüner Planet«. Wie können aus Ihrer Sicht ein Umdenken und ein bewussterer Umgang mit Lebensmittel erreicht werden?

Wir sollten uns heute dafür interessieren, was wir essen, aber vor allem woher unser Essen kommt. Welche Wege haben die Lebensmittel genommen? Unter welchen Bedingungen wurden sie produziert? Unsere Ausstellung erzählt davon, dass noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Lebensmittel generell regional hergestellt und saisonal gegessen wurden. Erst mit der Eisenbahn wurden Transporte billiger. Mit der Erfindung des Einweckens und der Konservendose wurden Lebensmittel außerhalb der Ernte- oder Schlachtzeit verfügbar. Heute ist in diesem Sinne das Umdenken auch in Görlitz in vollem Gange. So versorgt beispielsweise die Obermühle mit Biogemüse hiesige Restaurants und sorgt für gesundes Kita- und Schulessen.

 Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski

»Nach dem Ende der Ausstellung wollen wir das Neue Görlitzer Kochbuch herausbringen. Dafür sammeln wir Lieblingsrezepte unserer Besucher während des gesamten Ausstellungszeitraums. Ich würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele und ihre Rezepte verraten würden.«

Kuratorin Ines Haaser

In der Europastadt Görlitz-Zgorzelec wird öfter gemeinsam gefeiert. Verbindet das Ausstellungsthema die Menschen beiderseits der Neiße?

Die Ausstellung richtet sich an alle Bürger der Europastadt. Es finden sich hier Bezüge zur polnischen Küche und polnischen Traditionen. Alle Texte in dieser Schau sind zweisprachig, deutsch und polnisch. Regelmäßig bieten wir polnischsprachige Führungen an, die auch individuell gebucht werden können. Ja, ich denke, dass generell das Thema Essen und Trinken eine gute Brücke schlägt.

Sie haben ein breitgefächertes Begleitprogramm zusammengestellt. Gibt es etwas, auf das Sie sich ganz persönlich freuen?

Nun ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Menschen die sonntäglichen Kuratorenführungen besuchen würden und sich aktiv an den Stammtischen zur Küche in der DDR oder zum Thema Vorratswirtschaft gestern und heute beteiligen. Ich bin sehr gespannt auf den unmittelbaren, persönlichen Austausch. Nach dem Ende der Ausstellung wollen wir das Neue Görlitzer Kochbuch herausbringen. Dafür sammeln wir Lieblingsrezepte unserer Besucher während des gesamten Ausstellungszeitraums. Ich würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele und ihre Rezepte verraten würden. Für zwei kulturgeschichtliche Spaziergänge zu den Themen Braukultur und Gaststättenwesen haben wir uns Martin Herda aus Görlitz eingeladen. Herr Herda sammelt nicht nur Objekte und Bilder zu diesen Themen. Er ist ein profunder Kenner in diesem Bereich.

Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Wer ist alles an dieser Ausstellung beteiligt?

Wie immer bei unseren Ausstellungsprojekten ist das gesamte Team des Hauses beteiligt. Nur wenn jeder unseres kleinen Kreises mittut und zuverlässig arbeitet, können solche Projekte gelingen. Die Aufgaben reichen vom Korrekturlesen, dem Übersetzen durch die Dolmetscherin des Rathauses, dem Erstellen der Grafik, der Öffentlichkeitsarbeit vor und während der Ausstellung bis zu den 260 Objekte, die herauszusuchen waren. Zudem waren zahlreiche Bilder zu rahmen. Die Transporte übernahmen wie immer die Hausmeister und der Betriebshof, die schon ein sicheres Händchen für unsere wertvollen Stücke entwickelt haben. Ein kleines Aufbauteam bringt die Objekte in die Vitrinen ein und hängt die Bilder, unser Kunsthistoriker richtet in den letzten Vorbereitungstagen das Licht in der Ausstellung ein. Die Gestaltung und Ausstellungarchitektur lag wieder in den bewährten Händen von Thomas Doetsch, einem Architekten, der sich auf Ausstellungsbau spezialisiert hat. Den Holzbau verantwortet die Zimmerei Franke und den Glasbau die Glaserei Franke aus Görlitz.

Eine letzte Frage: Geht Liebe tatsächlich durch den Magen?

Auf jeden Fall. Spätestens, wenn zu Weihnachten mein Mann eine Bauernhofente liebevoll zubereitet. (schmunzelnd) Dann wird meine Liebe zu ihm noch einmal größer.

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Das Interview führte Ina Rueth

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