Interview zur Sonderausstellung »die suchenden«

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»Die Ziele des Jakob-Böhme-Bundes spiegeln Sehnsüchte wider, die man zum Teil auch in der Gegenwart wiederfindet«

Kurator und Kunsthistoriker Kai Wenzel im Gespräch zur neuen Sonderausstellung »Die Suchenden. Die Kunst des Jakob-Böhme-Bundes«
Kurator Kai Wenzel in der Sonderausstellung »die suchenden«, Foto: Pawel Sosnowski
Kurator Kai Wenzel in der Sonderausstellung »die suchenden«, Foto: Pawel Sosnowski

Vor genau einhundert Jahren löste sich eine außergewöhnliche Künstlervereinigung, die von Görlitz aus wirkte und den Namen „Jakob-Böhme-Bund“ trug, auf. Nur wenige Quellen gaben bislang Auskunft über die Geschichte des Bundes und seiner Mitglieder. Nun widmen die Görlitzer Sammlungen dem Jakob-Böhme-Bund erstmals eine große Sonderausstellung. Wie das gelingen konnte und warum von diesem Künstlerbund auch noch in unseren Tagen eine besondere Faszination ausgeht, davon erzählt Kurator und Kunsthistoriker Kai Wenzel in diesem Gespräch.

Sie überschreiben die neue Sonderausstellung mit „Die Suchenden“. Wonach haben die Mitglieder des Jakob-Böhme-Bundes, denen Sie diese Ausstellung widmen, gesucht? Einen Bund eint ja meist eine gemeinsame Idee.

Wir haben den Titel „Die Suchenden“ gewählt, da er uns sehr passend für den Kreis der Künstlerinnen und Künstler erscheint, die sich 1920 im Jakob-Böhme-Bund zusammenfanden. In einer Zeit der kulturellen und künstlerischen Neuorientierung nach Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches waren sie auf der Suche nach neuen Idealen. Gemeinsam suchten sie nach einer neuen Sakralkunst, nach einer neuen geistigen Kunst.

Wer waren „Die Suchenden“?

Die Suchenden, also die Mitglieder des Jakob-Böhme-Bundes, waren ein vielfältiger Kreis von Künstlerinnen und Künstlern der verschiedenen Bereiche, also Malerei, angewandte Kunst, Zeichnung, Druckgrafik, Architektur und Literatur. Diese Vielfalt stellen wir auch in der Ausstellung vor. Unter den Mitgliedern finden sich bekannte Namen wie Hans Poelzig und Gustav Meyrink, aber auch viele, die heute in Vergessenheit geraten sind und deren Werke wir mit der Ausstellung wiederentdecken wollen. Der Ideengeber für den Bund war der Maler und Schriftsteller Joseph Anton Schneiderfranken. Unter seinem geistigen Namen Bô Yin Râ schrieb er seit den 1910er Jahren ein umfassendes spirituelles Lehrwerk. Er war in dem Sinne kein Suchender mehr, sondern derjenige, der den Bund versammelte und ihm die Idee zu einer neuen Sakralkunst gab.

Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
“Sakralkunst“ ist ein zentraler Begriff im Jakob-Böhme-Bund. Was ist darunter zu verstehen?

Zunächst denken viele bei diesem Begriff an die christliche Kunst, also an Darstellungen der Kreuzigung Christi oder eine Mariendarstellung. So eng ist das aber beim Jakob-Böhme-Bund nicht gemeint gewesen. Eigentlich müsste man eher von einer geistigen oder spirituellen Kunst sprechen, die eine größtmögliche Offenheit in der Ausdeutung lässt. Und das ist auch in den Arbeiten des Bundes zu erkennen. Es werden Themen der Weltreligionen aufgegriffen, dann wieder steht das Kosmische als der große Rahmen für das menschliche Dasein im Mittelpunkt oder auch das Verhältnis des Menschen zu Gott.

Warum bezog sich der Bund bei seiner Namensgebung auf Jacob Böhme?

Wir würden heute sagen, diese Namensgebung für eine Künstlergruppe, die nach einer neuen Sakralkunst strebte, lag in Görlitz nahe. Tatsächlich war Jacob Böhme 1920 aber gar nicht so populär. Der Jakob-Böhme-Bund ist Teil der Rezeptionsgeschichte und in gewissem Maße auch der Wiederentdeckung dieses bedeutenden Philosophen und Mystikers. Der Bund wählte seinen Namen, da man in Böhme einen wichtigen Vordenker für die eigenen Ziele sah. Daher findet unsere Ausstellung auch im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 400. Todestag Jacob Böhmes in diesem Jahr statt. Um aber gleich einem Missverständnis vorzubeugen, unsere Ausstellung wird sich nicht mit Jacob Böhme beschäftigen, sondern ausschließlich mit dem Künstlerbund, der 1920 dessen Namen wählte.

Wie kam der Ideengeber des Bundes Joseph Anton Schneiderfranken nach Görlitz?

Der Maler Joseph Anton Schneiderfranken kam während des Ersten Weltkriegs nach Görlitz, zunächst aber nicht, um hier als Künstler tätig zu sein. Da er sehr gut Griechisch sprach, leistete er seinen Militärdienst als Übersetzer im Wohnlager für griechische Soldaten in Görlitz. Nach dem Krieg blieb er dann aber in unserer Stadt, da er eine Görlitzerin geheiratet hatte und sich ihm hier ausgezeichnete Möglichkeiten als Künstler boten. In Görlitz entstand ein Teil seiner Schriften, seines Lehrwerks, das er unter seinem geistigen Namen Bô Yin Râ veröffentlichte. Diesen Namen hatte er von seinem spirituellen Lehrer während seines Griechenlandaufenthalts 1912/13 erhalten. Durch hohe Druckauflagen und Übersetzungen in zahlreiche Sprachen, erreichten die einzelnen Bände des Lehrwerks bereits in den 1920er Jahren eine weltweite Verbreitung. Mit Blick auf das Wirken von Schneiderfranken gibt es durchaus Parallelen zu Jacob Böhme – ein Mann, der aus sich heraus geistige, mystische, spirituelle Erfahrungen in Sprache bringt und diese dadurch anderen erlebbar macht. Das ist Bô Yin Râ in seinem Schreiben. In der Organisation des Jakob-Böhme-Bundes spielt beides eine tragende Rolle: sein Weg als Künstler, als Maler und seine Schriften, sein Lehrwerk.

 Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski

»Die Recherchen für diese Ausstellung erwiesen sich als herausfordernd. Die Quellenüberlieferung zu den Mitgliedern des Bundes ist eher schlecht, denn es gibt kein Mitgliederverzeichnis und auch kein Archiv des Bundes.«

Kurator Kai Wenzel

Die Suche nach dem Jakob-Böhme-Bund erwies sich als herausfordernd, intensiv und zeitaufwändig. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Die Recherchen für die Ausstellung reichen inzwischen mehr als fünf Jahre zurück. Der Künstler Klaus Weingarten und der Regisseur Ronald Steckel, die sich beide seit langem mit Jacob Böhme beschäftigen und dabei immer wieder auch auf Spuren des Jakob-Böhme-Bundes gestoßen waren, gaben uns die Anregung, dem Bund eine eigene Ausstellung zu widmen, um ihn wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Klaus Weingarten hat dann auch einen wesentlichen Anteil an den Recherchen geleistet, indem er zwischen 2020 und 2023 eigens eine Zeitschrift mit dem Titel „Magische Blätter“ herausgab, in der er wichtige Quellentexte zum Jakob-Böhme-Bund zusammentrug. Der Titel ist übrigens übernommen von einer Zeitschrift, die es bereits ab 1920 gab und die damals für den Jakob-Böhme-Bund ein wichtiges Medium war. Die Recherchen für die Ausstellung erwiesen sich dennoch in verschiedener Hinsicht als herausfordernd. Zum einen mussten wir erkennen, dass die Quellenüberlieferung zu den Mitgliedern des Bundes eher schlecht ist, denn es gibt kein Mitgliederverzeichnis und auch kein Archiv des Bundes. Die wichtigsten Hinweise fanden wir in Zeitungsartikeln aus den 1920er Jahren, in denen über die Ausstellungen des Bundes berichtet wurde. Die zweite Herausforderung bestand darin, Werke von den Künstlerinnen und Künstlern für die Ausstellung ausfindig zu machen. Zwar hatten wir einige Arbeiten in unserem Museumsbestand, aber leider nicht von allen Künstlern. Und manche von ihnen sind so in Vergessenheit geraten, dass es nur mit großen Mühen gelang, ein Werk von ihnen in Privatbesitz oder in Museen zu finden.

Der Jakob-Böhme-Bund wirkt in der Zeit zwischen zwei Weltkriegen – inwieweit greift diese Schau die Stimmung dieser Zeit auf?

Wer eine kulturhistorische Ausstellung über die Zwischenkriegszeit erwartet, wird eher enttäuscht sein. Wir erzählen eigentlich nichts über die Stimmung der 1920er Jahre, die ja von wirtschaftlicher Not und politischer Unsicherheit geprägt war. Die Idee einer neuen Sakralkunst, einer Suche nach neuer Spiritualität mit künstlerischen Mitteln erzählt aber auch etwas über die Stimmung in einem Teil des intellektuellen Deutschland der 1920er Jahre. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war für viele eine Phase der Sinnsuche, in der sich einige Künstlerinnen und Künstler im Jakob-Böhme-Bund und seinen Zielen aufgehoben fanden. Insofern sind die Kunstwerke, die wir zeigen – es sind Werke des Expressionismus, aber auch anderer Richtungen – natürlich auch ein Spiegelbild ihrer Zeit. Gleichzeitig wohnt ihnen aber auch etwas Überzeitliches inne und die Ziele des Jakob-Böhme-Bundes sind nicht unbedingt nur zeitgeschichtlich zu sehen, sondern spiegeln Sehnsüchte wider, die es ähnlich bereits in der Epoche der Romantik gab und die man zum Teil auch in der Gegenwart wiederfindet.

 Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Wie arbeiteten die Mitglieder, die aus Deutschland, der Schweiz und Österreich kamen, zusammen? Wie und wo wurden gemeinsame Ausstellungen umgesetzt?

Soweit, wie wir es heute wissen, erfolgte die Mitarbeit auf Einladung von Joseph Anton Schneiderfranken und des zweiten wichtigen Organisators, des Malers Fritz Neumann-Hegenberg. Sie haben einen Kreis von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland und darüber hinaus angesprochen, von denen sie wussten, dass sie der Idee einer neuen Sakralkunst zustreben. Offen ist aber, wie sich die Zusammenarbeit unter den Mitgliedern über die belegten Ausstellungen hinaus gestaltet hat. Dass neben Künstlern der bildenden und angewandten Kunst auch Architekten, Literaten, Musiker in diesem Bund mitgearbeitet haben, wissen wir nur indirekt aus Erinnerungen, Schriftquellen, kurzen Erwähnungen. Beispielsweise bei Hans Poelzig oder Gustav Meyrink wissen wir zwar aus den Erinnerungen der Witwe von Fritz Neumann-Hegenberg, dass sie Mitglieder dieses Bundes waren. Über ihr Wirken innerhalb des Bundes wissen wir aber nichts Genaues. Ihre Namen sind auch nicht in den Ausstellungsbesprechungen zu finden. Wahrscheinlich sind sie als Ideengeber angesprochen worden. Denn das Sakrale, das Geistige spielte in ihren Werken bereits viele Jahre vor der Gründung des Jakob-Böhme-Bundes eine wesentliche Rolle. Sie waren sicher auch als Multiplikatoren für den Bund sehr wertvoll. Der Bund agierte unter dem Dach des Kunstvereins für die Lausitz. So konnten die Infrastruktur des Vereins und etablierte Ausstellungsorte wie die Görlitzer Stadthalle genutzt werden. Dennoch war die Entfaltung des Bundes über Görlitz hinaus, deutschlandweit, gedacht. Ausstellungen in den Großstädten waren geplant. Mit Schneiderfrankens Weggang aus Görlitz 1923 und dem frühen Tod Neumann-Hegenbergs 1924 zerfiel die Organisationsstruktur des Bundes und damit auch seine weitere Entfaltung.

Wird die Suche nach den Suchenden weitergehen?

Ja, auf jeden Fall. Mit den Recherchen zum Jakob-Böhme-Bund hat sich für uns als Museum nochmal ein ganz neuer Kreis, ein ganz neues Sammlungsinteresse geöffnet. Dieses Kapitel der Görlitzer Kunst- und Kulturgeschichte wollen wir für unsere Sammlungen weiter ausbauen. Insofern ist die Sonderausstellung ein erstes Zwischenergebnis unserer Suche nach dem Jakob-Böhme-Bund.

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Das Interview führte Ina Rueth

 Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Pawel Sosnowski
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