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Was Hacksilberschätze über Sklavenhandel im Mittelalter verraten – Die Görlitzer Schau ist die erste, die sich dieses düsteren Kapitels annimmt

Kurator und Archäologe Dr. Jasper v. Richthofen zur Sonderausstellung »Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters«
Dr. Jasper v Richthofen in der Sonderausstellung »Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters«, Foto: Görlitzer Sammlungen
Dr. Jasper v Richthofen in der Sonderausstellung »Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters«, Foto: Görlitzer Sammlungen
Beim Titel der Ausstellung halten erstmal einige inne und fragen sich: Wie geht das zusammen…Silber für Sklaven – Schätze des Mittelalters?

Ausgangspunkt für unsere neue Ausstellung sind die archäologischen Funde – in diesem Fall Schatzfunde. Mit ihrer Hilfe nehmen wir unsere Besucherinnen und Besucher auf eine spannende Forschungs- und Zeitreise mit. Anhand der bei uns gezeigten Funde können wir sehr weitreichende Erkenntnisse über die kulturgeschichtliche Entwicklung im frühen Mittelalter vermitteln. Unser Erzählbogen beginnt bei der Schatzsuche, den Schatzfunden und entwickelt daraus die packenden Geschichten, die sich über die Menschen von damals anhand unserer Forschung erzählen lassen. Wir fangen an bei den zahlreichen Silberschätzen aus dem östlichen Deutschland, aus Polen und dem ganzen Ostseegebiet, die aus der Zeit um 1000 stammen und vielfach zerhackte Münzen und Schmuckstücke enthalten. Weitgehende Einigkeit innerhalb der Forschung besteht darüber, dass es sich bei diesen nicht um Opfergaben an Götter handelt, sondern um gehortete Edelmetalldepots, die mit Handel in Verbindung stehen. Hacksilber ist Zeugnis für die im östlichen und nördlichen Europa in dieser Zeit üblichen Gewichtsgeldwirtschaft. Das Gewicht des Silbers bestimmte den Wert. Der Münzwert oder die Qualität des Schmuckes waren ohne Bedeutung. In Richtung Handel deutet auch die Tatsache, dass die Prägestätten der Münzen zwischen West- oder Mitteleuropa und Zentralasien weit auseinanderliegen. Die Schätze lassen Rückschlüsse auf Fernhandel und seine Wege zu. Aus der Fülle solcher Funde, die zwischen 200 Gramm und mehrere Kilogramm Silber enthalten können, ergibt sich dann auch ganz schnell die Frage, was denn der einheimische Gegenwert für das Silber gewesen sein könnte? Honig? Aus Baumrinde gewonnenes Pech? Textilien aus Leinen oder Schafwolle? Vermutlich war es vor allem der Menschenhandel, der die Menge an Silber in die Region gespült hat. Sklavenhandel wird auch immer wieder in den allerdings spärlichen Schriftquellen genannt. Daraus ergibt sich der erste Teil des Ausstellungstitels »Silber für Sklaven«. »Schätze des Mittelalters« bezieht sich auf den zweiten Teil der Ausstellung, der durch das Staatliche Museum für Archäologie in Warschau in Szene gesetzt wird. Gezeigt werden Schmuckstücke des 10. bis 13. Jahrhunderts. Sie ergänzen die häufig bis zu Unkenntlichkeit zerteilten Schmuckstücke aus den Hacksilberschätzen des ersten Ausstellungsteils und stammen vielfach aus den ehemals polnischen Gebieten im heutigen Belarus und der Ukraine.

Es gab ja schon mal 2008 eine Ausstellung »900 Gramm Gehacktes – Oberlausitzer Silberschätze des 11. Jahrhunderts« des Dresdener Landesmuseum für Vorgeschichte, die damals den frisch entdeckten Silberschatz von Cortnitz gezeigt hatte, der nun auch Teil der Görlitzer Ausstellung ist. Was ist das Besondere an der Görlitzer Schau im Kaisertrutz?

Unsere Ausstellung ist bislang die erste überhaupt, die im Zusammenhang mit der Geschichte um die Hacksilberschätze dem Thema der Sklaverei in Ostmitteleuropa und Ostdeutschland in der Zeit um 1000 genauer nachgeht. Auch wurden noch nie so viele Hacksilberschätze sowie andere bedeutende Schmuckgegenstände des Mittelalters, etwa von der Prager Burg oder aus Brünn, in einer Ausstellung zusammengetragen. Wenn man an Sklavenhandel denkt, fällt den meisten als erstes der intensive Handel mit afrikanischen Menschen zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert ein. Vor etwa 1000 Jahren waren es aber Männer, Frauen, Kinder aus unserer Region, die als »Ware« nach Westeuropa, Spanien, Byzanz oder Zentralasien verkauft wurden. Nicht zufällig besitzt die ethnische Bezeichnung »Slawe« den gleichen Wortstamm wie »Sklave«. Ihre ergreifende Geschichte erzählen wir nun hier im Kaisertrutz. Mittelalterliche Schriftquellen berichten von Sklavenhandel und manche Quelle schildern dramatische Szenen, die sich beim Verkauf der Sklaven abgespielt haben. Aus dem Handel mit afrikanischen Sklaven und deren Verkauf auf die Plantagen in Nordamerika kennt man solche Schicksale. Dass sich aber dergleichen nicht nur in Westafrika, sondern genau hier abgespielt hat, ist den Menschen heute nicht bewusst. Besonders tragisch und ergreifend finde ich die Menschenknochen, die am Strand in Ralswiek ausgegraben wurden – dort wo wir heute Urlaub machen oder die Störtebeker-Festspiele ansehen. Offenbar handelt es sich um gefangene Menschen, die am Strand vor ihrem Verkauf grausam selektiert und umgebracht wurden, unverkäufliche menschliche Ware, von der man sich »getrennt« hatte. Ralswiek war in dieser Zeit ein bedeutender Seehandelsplatz. Die Bestattung der Getöteten wurde nicht als nötig erachtet und so haben sich Tiere über die Reste hergemacht. Die Knochen lagen zwischen am Strand eingesandeten Wracks von wikingerzeitlichen slawischen Booten. Sklaverei gibt es bis in unsere Tage, auch wenn sie spätestens seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 als abgeschafft gilt. Und all diese Geschichten und Schicksale, die wir erzählen, sind mit den Silberschätzen verknüpft.

 

Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Görlitzer Sammlungen
Ein Blick in die Sonderausstellung, Foto: Görlitzer Sammlungen
Generell scheint von der Fundgattung »Hacksilberschätze« eine besondere Faszination auszugehen…

Die Görlitzer Sammlungen besitzen zwei bedeutende Hacksilberschätze der weiteren Region. Das ist zum einen der Fund von Meschwitz im Landkreis Bautzen und zum anderen der Schatz von Mahnau/Maniów bei Glogau/Głogów. Diese beiden Hacksilberschätze waren Ausgangspunkt für ein internationales Forschungsprojekt, das 2017 durch das Kulturhistorische Museum der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur in Kooperation mit den Universitäten in Heidelberg und Greifswald sowie dem Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie in Mannheim bei der Volkswagenstiftung beantragt und durch diese gefördert wurde. In unserem Forschungsprojekt ging es um die Herkunft des Silbers aus den gefundenen Schätzen. Stammt das Silber aus den seit 960 erschlossenen Silberminen im Harz auf dem Rammelsberg bei Goslar oder wurde es in den zentralasiatischen Silberminen bei Buchara oder Samarkand im heutigen Usbekistan gewonnen? Wurde der Schmuck im westslawischen Raum hergestellt oder handelt es sich, wie bei den Münzen, um Fernhandelsware aus Konstantinopel oder dem islamischen Raum sowie aus dem westlichen Europa? Aus fast allen der gezeigten Schätze wurden einzelne Stücke chemisch analysiert. Letztlich geht es in unserer Ausstellung aber um verschiedene reizvolle Aspekte, die mit den Schätzen verbunden sind. Zunächst geht es um das Thema der Schatzsuche, das die Menschen seit jeher umtreibt. Jeder würde gerne einmal einen Schatz finden. Damit verknüpft ist der Aufruf, dass solche archäologischen Schatzfunde nicht bei Ebay verkauft werden oder in der heimischen Wohnzimmervitrine landen sollten, sondern ins Museum gehören. Es handelt sich um historische Zeugnisse, die der Allgemeinheit gehören und deren Verschwinden dem Ausreißen einer Seite aus unserem Geschichtsbuch gleichkommt. Außerdem geht es um die Ästhetik der Einzelstücke, bei denen es sich vielfach um hochwertige Handwerksarbeiten handelt, die aufgrund ihres Materialwertes im Mittelalter achtlos durch ihre Besitzer in ihre Einzelteile zerlegt wurden. Des Weiteren geht es eben, wie schon kurz angesprochen, um persönliche Schicksale von Menschen, die versklavt und in ferne Länder verkauft wurden. Familien, die auseinandergerissen wurden. Um große Sklavenmärkte in Europa und Seehandelsplätze zu jener Zeit. Aber es geht auch um jene, die ihre Schätze vergraben haben. Sie sind offenbar schicksalhaft nicht dazu gekommen, ihr Hab und Gut zu bergen. Auch hierzu werden die geschichtlichen Umstände näher beleuchtet. Und schließlich geht es um Spurensuchen, die geschichtliche Interpretation der Schätze. Deren einzelne Bestandteile stehen, nach sorgfältiger Analyse, in der Zeit um 1000 für weitgefächerte Handelskontakte von der Atlantikküste bis nach Zentralasien.

Ein Silberschatz in der Ausstellung, Foto: Görlitzer Sammlungen
Ein Silberschatz in der Ausstellung, Foto: Görlitzer Sammlungen
Bei den in der Ausstellung gezeigten Funden fällt auf, dass diese erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart hinein entdeckt und geborgen wurden. Warum?

Sicherlich wurden solche Schätze auch schon in älteren Zeiten gefunden. Allerdings konnten da die Funde weder zeitlich zugeordnet, noch ihr historischer Wert erkannt werden. Die historischen Wissenschaften, vor allem aber die einheimische Archäologie wurde in Deutschland erst 1902 zur universitären Wissenschaft. Die klassische Archäologie, die sich mit Römern und Griechen befasst, hat längere Traditionen. Dank Rudolf Virchow setzte man sich aber erst seit 1865 mit der einheimischen Archäologie auseinander. Erst seit dieser Zeit wissen wir überhaupt, wie etwa die Hacksilberschätze zeitlich einzuordnen sind. Über archäologische Funde, aus dem Boden »wachsende« Zwergentöpfe, es handelte sich häufig um bronzezeitliche Grabgefäße, wusste man bereits seit dem 16. Jahrhundert. Die erste echte Ausgrabung fand ab 1786 in Königswartha bei Bautzen statt. Gefunden haben die Menschen im Zuge landwirtschaftlicher Tätigkeit immer schon, aber dokumentiert wurde davon nichts oder kaum etwas. Vermutlich sind Hacksilberschätze, die im frühen 19. Jahrhundert oder früher gefunden wurden, direkt als Edelmetall verkauft und eingeschmolzen worden. Das ist auch vielfach Schicksal von Teilen der in der Ausstellung gezeigten Schätze – zum Beispiel der Fund von Bischdorf am Rotstein wird ursprünglich bei weitem umfangreicher gewesen sein.

Warum wurden die Schätze in der Zeit um 950 bis 1050 zerhackt und vor allem versteckt oder vergraben? Das Zerhacken erschließt sich über das Wissen um die im 9. bis 11. Jahrhundert im Ostseeraum und bei den Slawen betriebenen Gewichtsgeldwirtschaft. Aber warum haben die Besitzer ihren Hacksilberschatz in dieser Art und Weise versteckt? Dass diese rund 1.000 Jahre später nun gefunden wurden, lässt Dramen erahnen…

Nicht nur erahnen. Dahinter stehen tragische Schicksale wie übriges hinter jedem Schatzfund, ob es sich um ein Gefäß mit römischen Goldmünzen oder ein Versteck von DMark-Scheinen in einer Schublade handelt. Offenbar sind in all diesen Fällen die einstigen Eigentümer der Schätze aufgrund von Gewalt, Krieg und Mord oder natürlichen Ablebens nicht dazu gekommen, ihr Eigentum wieder an sich zu bringen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass in der Zeit um 1000 noch viele weitere, ja Tonnen an Hacksilber als Zahlungsmittel im Umlauf waren. Versteckt wurden die Depots häufig an markanten Plätzen, die der Vergräber leicht wieder auffinden konnte. Dass man die filigranen Schmuckstücke zerhackt hat, bezeugt, dass der Schmuck als Schmuck für die letzten Eigentümer keine Bedeutung gehabt hat. Die Stücke waren bereits dem üblichen Gebrauch entzogen. Schmuck vergleichbarer Qualität scheint auch im Alltag der nordwestslawischen Bevölkerung keine Rolle gespielt zu haben. Auch Münzen hatten, anders als heute, keinen festen Gegenwert. Um das genauer zu betrachten, beleuchtet die Ausstellung auch das Thema Geldgeschichte. Geld konnte in der Historie sehr unterschiedlich definiert sein: Als Eisenschüsseln oder als kleines Tuch. Aus anderen Kulturen kennt man Muscheln als Geld. Heute besteht unser Geld aus Papier oder nur noch virtuell. Geldgeschichte ist auch ein spannender Teil unserer Kulturgeschichte und dessen Entwicklung ist offenkundig noch lange nicht zu Ende.

Dr. Jasper v. Richthofen erläutert Hintergründe zu einem Silberfund, Foto: Görlitzer Sammlungen
Dr. Jasper v. Richthofen erläutert Hintergründe zu einem Silberfund, Foto: Görlitzer Sammlungen
Wer war alles an der neuen Sonderausstellung beteiligt?

Unter meiner Leitung fand in Görlitz das vorangegangene Forschungsprojekt statt. Mitarbeiter vor Ort war Dr. Andreas Kieseler, der über einen Zeitraum von drei Jahren als Angestellter des Museums die Hacksilberschätze dokumentiert hat. Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen wurden durch Prof. Dr. Ernst Pernicka in Mannheim vorgenommen. Die weitere wissenschaftliche Betreuung erfolgte durch Prof. Dr. Felix Biermann. Mit der Gestaltung und der Planung der Ausstellung war Ausstellungsarchitekt Thomas Doetsch aus Berlin befasst. Im Görlitzer Museum hat Museologin Sandra Faßbender maßgeblichen Anteil an der Umsetzung der Ausstellung, ihr oblag die Anleitung von Handwerkern, die Abfassung von Leihverträgen, die Transporte der wertvollen Leihgaben und der Aufbau der Ausstellung. Außerdem waren an der Realisierung Firmen aus der Oberlausitz und aus Görlitz beteiligt. So Malermeister Goldfriedrich, Metall- und Rohrleitungsbau Patzig, Zimmerei Franke. Aus Löbau Pai-Werbung, aus Bautzen Tischlerei Schuster. Wir sind alle sehr froh, dass die Ausstellung, die ja bereits im Dezember 2020 eröffnet werden sollte, coronabedingt aber verschoben werden musste, nun endlich gezeigt werden kann. Sie werden sehen, es ist wirklich eine ganz besondere Schau.

Für welche Zielgruppen ist diese Ausstellung geeignet? Und: Wird es wieder Angebote für polnischsprachiges Publikum geben?

Hier wird die ganze Familie einen Erkenntnisgewinn haben! Davon bin ich überzeugt. Zudem ist die Ausstellung komplett zweisprachig und so hoffen wir auf reges Interesse bei polnischen Besuchern. Unter anderem haben wir eine Kooperation mit dem Muzeum Łużyckie bezüglich des Besuchs und der Führung polnischer Gruppen vereinbart. Monatlich werden Kuratorenführungen angeboten. Die Buchung weiterer, individueller Führungen ist möglich. Auch gibt es im thematischen Zusammenhang im Oktober wieder eine archäologische Führung auf die Landeskrone. Hier sind die Reste einer frühmittelalterlichen Burg, der Burg Businc oder Biesnitz, zu finden, bei deren Eroberung durch ein böhmisches Heer übrigens im Jahr 1015 1.500 Gefangene, der Quelle nach Frauen und Kinder nicht mitgezählt, gemacht wurden. Über deren Schicksal muss man in diesen Zeiten nicht lange nachdenken.

Haben Sie unter den vielen Ausstellungsexponaten einen persönlichen Favoriten?

Mein Lieblingsexponat ist ein kleiner silberner Panzerreiter, der uns in Anhängerform die Bewaffnung slawische Krieger um 1000 vor Augen führt. Der Panzerreiter wird voraussichtlich im September in der Ausstellung gezeigt und befindet sich derzeit in einer großen Ausstellung in Aarhus in Dänemark. Ansonsten ergreifen mich am meisten die Menschenknochen aus Ralswiek und das damit verbundene tragische Schicksal der Ermordeten. Genau werden wir niemals erfahren, was dort wirklich passiert sein mag. An der Bergung der Knochen und auch der beeindruckenden und hervorragend erhaltenen Holzboote war ich 1993 persönlich beteiligt.

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Das Interview führte Ina Rueth

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